Michel Nedjar

*12. Oktober 1947, Soisy-sous-Montmorency , Frankreich

Michel Nedjar kommt schon in frühster Kindheit mit Stoffen und Textilien in Kontakt. Seine Eltern, jüdische Einwanderer, betreiben eine Schneiderwerkstatt, die Grossmutter führt einen Secondhand-Kleiderladen auf dem Pariser Marché aux Puces. Mit 15 Jahren verlässt Michel die Schule, absolviert eine Schneiderlehre und führt bald ein eigenes Nähatelier. Hier erschafft er erste, perfekt gearbeitete Puppen, mit dem Ziel, diese in Pariser Boutiquen zu verkaufen.

Abkehr von der bürgerlichen Welt

Der Bruch mit der bürgerlichen Welt geschieht nach Nedjars Militärdienst. Ein Aufenthalt in einem Sanatorium wird nötig und liefert den Anstoss zu Veränderungen. Michel Nedjar bricht zu ausgedehnte Reisen auf, etwa durch Europa, Asien sowie Guatemala. Er sieht farbenprächtige Stoffe auf Mexikos Märkten, taucht in magische Rituale fremder Kulturen ein, lernt Totemfiguren kennen und experimentiert mit halluzinogenen Pilzen.
1976 kehrt Nedjar nach Frankreich zurück. Das Leben als Schneider lässt er hinter sich und verarbeitet die Eindrücke der Reisen nun in künstlerischen Arbeiten. Unter anderem realisiert er düster-mystischen Wesen aus unterschiedlichen Materialien. Diese „Poupées“ sind Fetisch-Figuren aus Zweigen, Seilen, Sackleinen und anderem Abfall, getränkt mit Tierblut und Schlamm. Wo die Augen sitzen sollten, finden sich hier nur dunkle Höhlen. Im Inneren versteckt Nedjar immer wieder Fundstücke wie Schätze, mit dem Ziel, sie so auf ewig überdauern zu lassen. Neuere Puppen setzt Michel Nedjar aus bunten Stoffstücken zusammen, weniger furchteinflössend als die ersten – dafür unbeschwert und wirkend wie kindliche Nähversuche.

Mit dem Bügeleisen

Neben der Erschaffung von Objekten befasst sich Nedjar auch mit der Malerei. Hier verwendet er als Malgrund aufgefundene Materialien: alte Kartons, Plattenhüllen, Briefumschläge. Seine bevorzugten Motive sind Tiere, Figuren und Gesichter, allesamt in archaischer Unmittelbarkeit, expressiv im Ausdruck und in erdigen Farbtönen. Meist nutzt Nedjar Wachsmalkreiden und bearbeitet den Bildträger zum Schluss mit dem Bügeleisen, wodurch ein Grossteil des Bildes zerstört und entfremdet wird.

Ein drittes Ausdrucksmedium ist für den Künstler das Filmen. In Form von Dokumentarfilmen gibt er Einblicke in sein fieberhaftes, tranceartiges Vorgehen bei der Erschaffung seiner Puppen. Er realisiert jedoch auch Arbeiten, in denen er das Thema des Holocausts aufgreift und sich mit seiner jüdischen Herkunft auseinandersetzt.

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